Buchauszug 1

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        Vorwort zum "gestiefelten Eros" - Buchauszug 1




   Der achtzigjährige Goethe hat einmal gesagt, dass er in seinem Leben von keinem Verbrechen gehört oder gelesen habe, dessen er sich selbst nicht für fähig halte. Worte, die einen solchen ungeheuren Bekennermut, eine so überragende menschliche Größe offenbaren, findet man selten. Ich habe mit Absicht zum Eingang dieses Buches daran erinnert, weil mich dünkt, der vorurteilslose, verständnisvolle und ernsthafte Leser wird auf den folgenden Seiten etwas von einem solchen Mut, von dieser menschlichen Ehrlichkeit spüren.


   Jedermann wird mir beipflichten, wenn ich behaupte, dass es wirklich nicht einfach ist, sein Leben so schonungslos und mit so großer Wahrhaftigkeit zu enthüllen, wie es der Verfasser getan hat. Zumal wenn man (wie es in dem vorliegenden Fall zutrifft) Gesellschaftskreisen angehört, die eine längst brüchig gewordene Moral ängstlich hüten und bisher kaum den Beweis ehrlichen Mitfühlens und Verstehens für eine unglückliche Neigung und Veranlagung auf sexuellem Gebiete erbracht haben, aber um so rascher mit ihrem Urteil und um so grausamer bei ihrer Verurteilung sind, und man auf ein Leben in und mit dieser sogenannten guten oder besten Gesellschaft angewiesen ist, wie der Verfasser als hoher Staatsbeamter im Dienst.


Dieses "Document humain" ist ein Bekenntnis- und Erkenntnisbuch im besten Sinne des Wortes. Während aus den Schilderungen des Verfassers ein Bild entsteht von den Wünschen und Begierden, Tatsachen und Erlebnissen eines Daseins, das zumindest, wenn auch menschlich begreiflich, dem Normalempfindenden doch widernatürlich und absurd erscheinen mag, findet man, zumal im ersten Teile überall den Willen des Schreibers, sich über Ursprung und Ursachen seiner transvestitisch-schuhfetischistischen Neigungen klar zu werden. Erschütternd liest sich das Bekenntnis des Schülers, der seiner Mutter das Geheimnis anvertraut, sich zu ihr flüchtet in seiner Seelenpein und von einer gütigen und stillen alten Frau eine Erklärung bekommt, die ebenso plausibel für ihn wie für den Leser ist.

In diesem Zusammenhange sei der Wert dieser Veröffentlichung für die Forschungsarbeit der psychoanalytischen Wissenschaft kurz gestreift. Die oben erwähnte Erklärung der Mutter ist von größter Bedeutung, lenkt sie doch das Augenmerk von Eltern und Erziehern auf einen an sich sicherlich harmlosen und unbedeutenden, aber, wie man zugeben wird, weit verbreiteten Übelstand, der wohl geeignet ist, besonders empfindsame und sexuell wache Kinder für ihr ganzes weiteres Leben aufs Unglücklichste zu beeinflussen. Allein um dieser Mitteilung willen verdient das Buch gelesen und wissenschaftlich ausgewertet zu werden, allein diese Tatsache erhellt in weitestem Maße das schon angedeutete Bestreben des Verfassers, in heißem Bemühen einer Erklärung seiner Veranlagung nachzugrübeln und nachzuspüren. Es wäre darum billig und zwecklos, die Wichtigkeit und Bedeutung des vorliegendes Buches für die wissenschaftliche Forschung zu betonen. Darüber ist sich ja wohl auch der Laie klar.

 Aber die Wissenschaft begrüßt noch aus einem zweiten Grunde die Veröffentlichung dieser Bekenntnisse. Es ist schwer, Dichtung und Wahrheit, Wunsch und tatsächliches Geschehen in diesem Buch genau voneinander zu trennen. Meines Erachtens überwiegt das wünschende Element bei Weitem. Für den Psychologen ist das keineswegs belanglos oder nebensächlich, im Gegenteil, es macht das Buch wertvoller, wenn das Umgekehrte der Fall wäre. Jede Dichtung, jedes Kunstwerk überhaupt im weitesten Sinne ist ja weiter nichts als ein konglomerierter Niederschlag von Erlebnissen, Wünschen und Sehnsüchten eines schöpferischen Geistes und darum gleich wertvoll für die Seelenfoschung. Dass dem Autor hier und da die Zügel der Darstellung des Geschehens aus der Hand gleiten, und er seiner Fantasie weitesten Spielraum lässt, offenbart die letzten und feinsten Regungen seines Seelenlebens. Und darauf kommt es besonders bei einer derartigen Publikation an, soll aus ihr endgültige Erkenntnis geschöpft werden. 

 
Es kommen hier Dinge zur Sprache, von denen die Wissenschaft zwar weiß, mit deren Vorhandensein sie rechnet und rechnen muss, die ein wichtiger Bestandteil ihrer Hypothesen und Folgerungen sind, aber für die noch viel zu wenig Tatsachenmaterial vorhanden ist. Dass darum ein hochgebildeter und ernsthafter Mann, der seinen endgültigen Platz in der Gesellschaft behauptet, alle Fesseln, Vorurteile und Hemmungen abstreift und sein Innerstes enthüllt, um mit sich selbst ins Reine zu kommen, sich durch diese Niederschrift zu reinigen und zu entlasten, und den Leser damit hinabschauen lässt in die Abgrundtiefen der menschlichen Seele, das wird ihm die Wissenschaft zu danken haben.

 

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