Buchauszug 3

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"Der gestiefelte Eros" - Buchauszug 3

Erneuter Besuch bei Stiefel-Mattausch

    In der großen Garderobe häuften sich Kostüme und Requisiten aller Zeiten und Kulturepochen, und der kleine vornehme Laden Mattauschs hätte von unseren Bestellungen allein leicht und anständig bestehen können. 

    In ihm saß ich wieder einmal, wie so oft in der letzten Zeit, und sah mit bei jedem Paare immer neu erwachender Erregung interessiert zu, wie Fräulein Trude sich abmühte, die vierzig kleinen Perlmutterkugelknöpfe meines neu gelieferten kornblumenblauen Atlasstiefels zuzuhaken, als ein auffallendes Paar in den Laden trat, das sofort meine Aufmerksamkeit erweckte. 

    Sie, eine sehr große Dame von ausgezeichneter Figur, gekleidet in ein dunkelblaues, eng ihre volle Büste umstraffendes, zobelbesetztes Tuchkostüm, eine fesche Mütze aus demselben Pelz kokett auf dem kohlschwarzen, schweren Haar. Ihre kleinen hochspannigen Füße steckten in ganz hohen, ihrem Kostüm gleichfarbenen Wildlederknopfstiefeln mit auffällig hohen spitzen Hacken. In ihrem hochmütigen strengen Medusengesicht bewegte sich kein Muskel, als sie ihren Begleiter wortlos, nur mit einer herrischen Bewegung, auf den freien Sessel neben mir hinwies. Herrisch blitzten auch ihre grauen Augen unter den dichten zusammengewachsenen Brauen. 

    Ihr Begleiter ließ sich, wie ein Mädchen errötend und mit zu Boden geschlagenen Augen auf dem befohlenen Platz nieder. Meines eben fertig zugeknöpften rechten Atlasstiefelchens ansichtig werdend, geriet er in solche Verwirrung, dass er am ganzen Körper zitterte. Natürlich hatte auch ich mit der Musterung seiner Person von unten her begonnen und war freudig überrascht, in seinen Lackknopfstiefeln eine bis in die kleinste Einzelheit meinen eigenen, das heißt denen, in welchen in gekommen war, nachempfundene Dublette zu entdecken. Ihre raffinierte und aparte Ausführung war mir weiter nicht verwunderlich, denn dass sie nur aus Mattauschs Werkstätte stammen konnten, stand außer Zweifel für mich. Wohl aber war mir die Tatsache an sich merkwürdig genug, dass es außer mir in Berlin noch einen zweiten gab, der sich so ausgesprochene Damenstiefel öffentlich zu tragen getraute.

    Den Blick weiter erhebend, bemerkte ich einen sehr gut angezogenen jungen Herrn meines Alters. Sein von dunklen Haaren eingefasstes schmales Gesicht hatte in seiner auffälligen Blässe etwas Mädchenhaftes an sich. Seine Augen waren braun und feuchtglänzend wie die eines Rehes. Ich sagte mir sogleich, dass mir der junge Mann sehr gefiel und beschloss, auf alle Fälle seine Bekanntschaft zu machen. 

    Die Gelegenheit hierfür ließ nicht lange auf sich warten. Ich hörte hinter mir die große strenge Dame Fräulein Lisette, die zweite Verkäuferin anranzen. Gespannt harrte ich der kommenden Dinge. Sie kamen in Gestalt eines Paares sehr hoher Damenstiefel aus lichtgrauem Atlas mit eingewirkten dunkelblauen Blüten. Die Knöpfe fahlschillernde Opale. Ich wurde sehr erregt, als ich sie sah. Außer Tante und mir waren noch verschiedene andere Kunden im Laden. 

    Ich konnte also meinem armen Neigungsgenossen recht wohl nachfühlen, dass ihm die bewundernde und verwunderte Aufmerksamkeit und Anteilnahme so vieler fremder Leute mehr als peinlich war. Dass sie ihm das war, zeigte er nur zu deutlich. Jedenfalls zu deutlich für seine forsche Begleiterin. Denn plötzlich schlug sie ihm das eine Prunkstiefelchen, das sie prüfend in der engbehandschuhten Hand gehalten, um die Ohren. Jawohl! Ich hatte es ganz deutlich gesehen, wenn sie hintenan auch lächelnd, dass ihre weißen spitzen Mauszähne für einen Moment zwischen den schmalen blassen Lippen aufblitzten, so tat, als wenn die zweifelhafte Liebkosung so quasi als Scherz gedacht gewesen sei. 

    Da ich nach meinen umfangreichen Erfahrungen im römischen Pensionat für weibliche Quälsucht auch nicht mehr das Geringste übrig hatte, empörte sich mein Zorn in dem gleichen Maße gegen das impertinente Weib, wie ich meine Zuneigung seinem Opfer zuwandte.

    Fräulein Trude war indessen auch mit meinem linken Stiefel fertig geworden und strich eben noch einmal mit der Hand prüfend über den prallen hohen Schaft, der faltenlos um das Bein lag. Ich begann, die Füße im Knöchelgelenk zu drehen, so dass der glattgespannte Atlas beängstigend krachte, doch ich erreichte damit meine Absicht, die Blicke meines Nachbarn auf sie zu lenken.

    „Nicht wahr, sie sitzen ordentlich“?, redete ich ihn an. „Allerdings so erlesen wie Ihre lichtgrauen da sind sie leider nicht.“

    „Wie meinen Sie“?, stotterte er, noch immer in grässlicher Verwirrung. „O doch! Ich finde das Kornblumenblau wundervoll.“

    So, die Verständigung war angebahnt. Nun weiter. "Sie gestatten: Karl-Hanns Leydenegg.“

    „Sie gestatten, Walter Graf Ostrow.“

    Inzwischen hatte Fräulein Lisette auf der kleinen Bank zu seinen Füßen Platz genommen und mit dem gleichgültigsten  Gesicht von der Welt zu knöpfen angefangen.

    Allmählich bröckelte nun im Verlauf der sich nun entspinnenden Unterhaltung von meinem neuen Bekannten jene unnatürliche Schüchternheit ab. Wir sprachen von der technischen Hochschule, der ja auch ich, sozusagen als stud. chem.  anzugehören die Ehre hatte, wenn ich die Hörsäle seit meiner Immatrikulation auch nicht mehr betreten hatte. 

    Weil ich sah, dass die meisten meiner Kommilitonen die ersten Semester, wenn auch aus anderen Motiven als ich, aber ebenso vollständig wie ich, in ihren Korps verbummelten, fühlte ich mein Gewissen durch mein systematisches Schwänzen nicht allzu heftig belastet.  Graf Ostrow hatte auch Chemie belegt, da sein Vater außer seinem immensen Grundbesitz zahllose Fabriken und Bergwerke besaß. Mit Nahrungssorgen schien er demnach nicht kämpfen zu müssen.

    Seine Begleiterin war unterdessen mit Gisa ins Gespräch gekommen. Da mir Tante gelegentlich zublinzelte, erhob ich mich und bat Walter, mich der schwarzen Dame vorzustellen, nachdem ich Gisa mit dem Grafen bekannt gemacht hatte. Sie hieß mit dem Vornamen Olga. Der Nachname klang ähnlich wie Dombielsky. Offenbar war sie Polin. Nachdem Walter mittels eines bittenden Blickes erst ihre Erlaubnis eingeholt hatte, lud er Tante und mich für den Nachmittag zum Tee ein. Wie er seine Adresse in T….straße nannte, die gar nicht weit von unserer Villa lag, stutzte ich und fragte:

„Da wohnen Sie am Ende gar in dem entzückenden kleinen Palais mit dem großen alten Park?“

„Zu dienen“, lächelte Walter. „Sie haben recht. Klein ist es allerdings.“

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