Buchauszug 5

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Der gestiefelte Eros - Buchauszug 5 

"Professor Fritz Hartmuts beruhigende Worte"


   In der reinen Atmosphäre des Hartmutschen Hauses war meine Leidenschaft für Damenchaussures etwas abgeflaut. Ich hatte meinem väterlichen Freunde längst meine Schwäche für sie gebeichtet, ebenso wie meine frühe Mannwerdung in Ellinors Armen. Ich hatte sogar mit jugendlichem Ungestüm ihm einen feierlichen Schwur ablegen wollen, dass ich nie mehr einen anderen Schuh an den Fuß nehmen würde, als wie ihn andere normale Männer auch tragen. 

   Doch er, der nach seiner Gewohnheit mir stille und wie nach innen lauschend zugehört hatte, fasste sanft meinen erhobenen Schwurfinger und sagte: "Mein lieber Charley, schwöre nicht. Du könntest den Schwur sicher nicht halten. Deine Leidenschaft ist stärker als dein Wille, und darum würdest du moralisch, nach Bruch deines Gelübdes, noch schwerer leiden. Du bist nun bald zwanzig Jahre alt, da können wir schon ein offenes Wort zusammen reden. 

   Zunächst mal: Deine Passion ist keine unästhetische, eher das Gegenteil, und vor allem keine gemeingefährliche. Danke deinem Schöpfer, dass es keine schlimmere ist. Ich habe mich, wie mit allen Erscheinungen unseres Kulturlebens, den guten und schlechten, auch mit der sexuellen Verirrung befasst, die die ärztliche Wissenschaft mit Retifismus oder Schuhfetischismus bezeichnet. 

   Die Leidenschaft für bestimmtes Schuhwerk, meist, oder fast immer gilt sie raffiniert eleganten, möglichst auffallenden Damenstiefeln, ist wohl die am meisten verbreitete Perversion. Viele tausende von Männern aller Stände, und beileibe nicht nur Großstädter, sind davon ergriffen. Du kannst täglich diese Behauptung nachprüfen, wenn du Obacht gibst, wieviele begehrliche Männeraugen sich stets an deine eleganten auffälligen Stiefel heften, sobald du mit ihnen die Straße oder ein öffentliches Lokal betrittst. Bald sind es tipptoppe Kavaliere, bald einfach gekleidete Beamte, bald schäbig angezogene Arbeiter. In aller Augen jedoch flackert das gleiche Verlangen nach ebenso raffinierten Schuhen. Und doch getraut sich von ihnen unter tausend noch nicht einer die Konsequenzen seiner unseligen Veranlagung zu ziehen. Einmal sind nicht viel in der glücklichen Lage, einen so kleinen Fuß ihr eigen zu nennen wie du, dass sie sich einfach im nächsten guten Laden das Paar eleganter Damenstiefel kaufen könnten, nach denen ihr Verlangen steht, um wenigstens innerhalb ihrer vier Wände ihre Leidenschaft befriedigen zu können. 

   Gute Maßschuhe, wie die deinen, mein Charley, sind selten und auch sündhaft teuer. Ganz abgesehen davon gehört für einen Mann eine ungeheure Selbstüberwindung, vor einem andern, wenn es auch nur ein Handwerker ist, sein Innerstes zu entblößen. Von Tag zu Tag aber wird der merkwürdige Trieb stärker. Aus tausend und abertausend Quellen schöpft er, in einer Großstadt zumal, einmal wach geworden, täglich neue Kräfte. Wenn die Unglücklichen - guck mich nicht so erstaunt an, Charley, jawohl, sie sind unglücklich, denn jeder, der unter dem Joch einer Leidenschaft steht, ist es, mag sie heißen, wie sie will - nur das bisschen Mut aufbrächten, sich über die Borniertheit und das Vorurteil ihrer Geschlechtsgenossen hinwegzusetzen! Wenn sie einfach zu einem guten Schuster gingen und ihm sagten: 'Ich will ein paar Stiefel in der oder jener Ausstattung. 

   Ich liebe solche Schuhe und das andere geht Sie nicht an, mein lieber Meister.` Dann wäre alles gar harmlos. Den hohen schmalen Damenschaft sieht man unter dem langen Beinkleid ja nicht, und der Absatz kann von einem guten Fachmann schon so gedeichselt werden, dass er, ohne allzu auffällig zu sein, den Ansprüchen seines Trägers in Bezug auf die feminine Linie noch genügt. Dem Manne wäre geholfen und ihm seine Ruhe, vielleicht sein Lebensglück wiedergegeben. 

   Nur ein paar Dutzend mutiger Männer brauchten sich in jeder Großstadt zusammen zu tun und so vorgehen. Unsere schnelllebige Zeit hätte sich gar rasch damit abgefunden. Aber wie sieht die Sache nun in Wirklichkeit aus? Aus falscher Scham getraut sich der arme Fußfreier, wie diese Sorte Mannsvolk von den Priesterinnen der freien Liebe betitelt wird, selbst seinem besten Freunde seine abnorme Veranlagung nicht zu verraten, obwohl er für sie so wenig kann, wie für die ursprüngliche Farbe seiner Haare. Auswirken aber muss sich der starke Trieb irgendwo. Wo aber wird er es? Eben bei der Dirne. Sie nämlich, die einzige wirkliche Vertraute des Mannes in allen sexuellen Geheimnissen, hat in ihrer Geschäftstüchtigkeit die Bedeutung des Schuhfetischismus für ihren Betrieb längst erkannt und sich gewandt auf ihn eingestellt. Schau sie nur an, wie sie zu ihrem Streifzug auszieht! So dürftig und erbärmlich ihr sonstiger Aufzug sein mag, niemals wird sie auf auffällige, raffinierte Stiefel verzichten. Und ganz besonders raffiniert werden an denen stets die Absätze sein. 

   Die Höhe und Form der Hacken war ja von jeher der Gradmesser der Sinnlichkeit. Ein Blick in die Malerei und Grafik des 18. Jahrhunderts, des Rokoko, genügt als Beweis für meine Behauptung. Niemals gab es in der Kulturgeschichte eine erotischere Periode als diese, da der durch seine Sinnlichkeit zum Männchen degradierte Mann auf spannhohen, fingerschlanken Absätzen einhertrippelte. Ich behaupte, summa summarum, dass bei der ungeahnt weiten Verbreitung der Schuhleidenschaft hunderte von Ehen und Verhältnisse allein durch die Feigheit der Männer, ihre Neigung offen zu bekennen, zugrunde gehen. 

   Und darum, mein lieber Charley, gebe ich Dir einen guten Rat. Trage ruhig die Schuhe deiner Neigung und deines Geschmackes. Wen auf der Welt tut es weh oder schert es was, wenn es dir beliebt, deine Ferse um ein paar Zentimeter höher zu stellen, als die große Menge es tut? Vielleicht stumpft sich durch die Gewohnheit der anomale Reiz allmählich ab, obwohl ich es nicht glaube, und am Ende erlebe ich eines schönen Tages, dass mir mein Charley in Schuhen mit flachem, englischen Absatz guten Tag sagt. Sind die Hacken aber dann noch immer so schrecklich hoch, wie die an deinen hübschen Lackstiefeln hier, dann wird selbst diese entsetzliche Tatsache nicht imstande sein, meiner Liebe zu dir Abbruch zu tun."

So stand denn in meinem behaglichen Zimmerchen noch die gleiche lange Zeile der nämlichen raffinierten Damenstiefel und Schuhe, die vor fast zwei Jahren den Schmuck meines römischen Gefängnisses gebildet hatten. Nachdem nämlich zwei Briefe Hartmuts an Madame Brunnieux unbeantwortet geblieben waren, hatte ein dritter an das deutsche Konsulat Wunder gewirkt. Zu meiner aufrichtigen Freude kamen eines Tages die drei großen Schiffskoffer an, und der Professor weidete sich in stillem Ergötzen an meinen lauten Entzückensausbrüchen, mit denen ich die schon verloren geglaubten Lieblinge ans Herz drückte. Wohl saßen die lange Vermissten nun noch ein bisschen straffer und enger am Fuße, mit dem sie übrigens, soweit es sich um die ganz hohen und hochmütigen Vertreter handelte, selten genug in Berührung kamen. Die anderen 'normalen' Damenstiefel dagegen trug ich tagtäglich, und zwar ohne jede Befangenheit meinerseits, wenn auch oft zu um so größerer Be- und Verwunderung unserer Gäste und Bekannten.

   Wie ganz anders waren die Empfindungen des gereiften jungen Mannes, der heute ungeduldig auf die Einfahrt des Kölner Schnellzuges wartete, um Tante Gisela abzuholen, als die des Knaben, der vor zweieinhalb Jahren mit der gleichen Absicht auf dem Bahnhofe seines Vaterstädtchens stand. Auch sein Äußeres und seine Haltung, wie er so mit ruhiger, selbstbewusster Sicherheit den Anzug des ersten Residenzschneiders und die rassig-eleganten schmalen Damenschnürstiefel Mattauschscher Herkunft trug, erinnerte an seinen damaligen Aufzug nur etwa so, wie der ausgeschlüpfte Falter an die Raupe.

   Auf eine so radikale Veränderung ihres Neffen Charley war Tantchen sichtlich nicht gefasst. Denn während dieser Neffe ruhig in der brandenen Menschenmasse, die wie ein gestauter Strom bei endlich erreichtem Dammbruch alsbald nach Stillstand der Räder den Perron überflutete, sein gesuchtes Ziel, Gisa, schon längst gefunden hatte, erkannte die ihn noch kaum, als er schon seinen Arm unter den ihren geschoben hatte. Freilich hatte ich es mit dem Erkennen leichter als sie. Denn Tante Gisa hatte sich seit unserem Abschied in Rom kein klein bisschen verändert, höchstens war sie noch schöner geworden. Sicher aber noch eleganter. Das hatte mein geschulter Kennerblick befriedigt auf Anhieb festgestellt. 

   Aber dann, als sie nicht mehr umhin konnte, glauben zu müssen, dass der schlanke, hochgewachsene junge Mann mit dem sportgebräunten Gesicht tatsächlich mit dem tollpatschigen Windhund von vor zweieinhalb Jahren identisch sei, hatte sie beinahe, ihre ganze vornehme Contenance vergessend, mich auch offener Straße abgeküsst. Sie fiel ihr gerade noch ein, als ihre Lippen schon in bedrohlicher Nähe der meinen standen. So begnügte sie sich vorläufig, meinen Arm an sich zu pressen und mir zuzuflüstern: "Gnade dir Gott, Charleybub, wenn wir unter Dach sind! Du kannst dich freuen!" 

Und dass ich mich darauf freute, sagte ihr mein heißer Gegendruck. Als wir uns endlich aus dem Gedränge herausgewuzzelt hatten, fiel ihr Blick auf meine Füße, und ihre Augen leuchteten auf:    "Die Blütenranken, mit denen ich meinen Jungen vor zwei Jahren gefesselt habe, sind also nicht verdörrt?"  "Im Gegenteil, Tantchen, Nur ein bisschen veredelt sind die inzwischen geworden. Aus wilden Heckenrosen zu purpurglühenden Zentifolien".
   Sie sah mich mit einem Blick an, dass ich selber errötete wie eine solche.

 

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